Gedanken zum Umgang mit Fernsehen und Video in der Familie

emn. Die dreijährige Kirsten will zu ihrem Freund Klaus zum Spielen gehen. Als sie dort ankommt, sitzt dieser vor dem Fernseher und schaut sich ein Kindervideo an. Kirsten, deren Eltern aus pädagogischen Überlegungen heraus keinen Fernseher haben, setzt sich in einen Sessel und schaut wie gebannt auf den Bildschirm. Sie läßt sich von ihrer Mutter, die mitgekommen war, nicht davon wegholen. Auch Klaus reagiert nicht auf die Ankunft seiner Freundin. Erst als die Mutter Kirsten vorschlägt, daß sie Klaus fragen könnte, ob er nicht den Fernseher ausmachen und mit ihr spielen mag, gelingt es Kirsten, sich von dem Geschehen auf dem Bildschirm zu lösen. Sie fragt Klaus und dieser schaltet sofort aus und geht vergnügt mit Kirsten ins Kinderzimmer, wo sie den ganzen Nachmittag intensiv miteinander spielen.

Dieses Beispiel, was sicher viele in der einen oder anderen Art kennen, soll mehrerlei verdeutlichen:

Zum einen ist der Fernseher ein Medium, das die Aufmerksamkeit von Kindern wie Erwachsenen sehr stark auf sich lenkt, man kann sich dem fast nicht entziehen. Das eigentliche Vorhaben von Kirsten, nämlich mit ihrem Freund zu spielen, verschwindet augenblicklich aus ihrem Bewußtsein. Wenn man dies bedenkt, ist es heikel, bei kleinen (und auch bei größeren) Kindern davon auszugehen, daß sie selbst dazu in der Lage seien, ihren Fernsehkonsum zu steuern. Zum anderen zeigt das Beispiel, daß Kinder einen Erwachsenen brauchen, der ihnen behilflich ist, wieder in die Realität zu finden. Ohne zu verbieten oder zu zwingen, sondern indem wir die Kinder auf das hinführen, was der Natur des Menschen entspricht: Die Kinder möchten etwas miteinander machen. Sie sind aufeinander ausgerichtet.

Kinder brauchen weder für ihre Persönlichkeitsentwicklung noch für die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten einen Fernseher. Alles, was sie zur Entwicklung mitmenschlicher Werte und sozialer Fähigkeiten benötigen, lernen sie in erster Linie in der zwischenmenschlichen Beziehung zu den Eltern, zu den Erziehern und Lehrern, zu anderen Erwachsenen und zu anderen Kindern. Andere Medien wie Bilderbücher, Lesebücher oder kreative Tätigkeiten wie Malen oder Basteln fordern eine Eigenaktivität des Kindes, die für die Hirnentwicklung und damit für die kognitive und die Persönlichkeitsentwicklung viel bedeutender sind als die überwiegend passive, konsumierende Haltung vor dem Medium Fernsehen.

Das Fernsehen fördert weder die kognitive noch die soziale Entwicklung: Die schnellen Bildfolgen überfordern die Kinder und führen zu Nervosität. Durch die hohe Rate an Gewaltdarstellungen und die Konfliktlösungen nach dem Motto "der Stärkere, Rücksichtslosere, Gewieftere, ... setzt sich durch" haben die Kinder keine geeigneten Modelle für die Lösung ihrer eigenen Probleme, und wählen unter Umständen den einfacheren aggressiven und unsozialen Weg ihrer TV-Vorbilder. Auch führt das Fernsehen durch die ständige Präsentation von Konsumgütern in der Werbung zu einem enormen Konsumdenken und zu einer ichbezogenen Vorstellung von Glück.

Wir Eltern möchten unseren Kindern behilflich sein, zu friedfertigen, verantwortungs­bewußten, mutigen und aufrechten Mitmenschen zu werden. Doch wie können wir als Eltern dem allgegenwärtigen Medium Fernsehen begegnen?

Wenn Sie als Eltern sich dazu entschlossen haben - und da braucht es einen aktiven Entschluß, der auch eigenen Verzicht und u.U. ein Umdenken erfordert - ein Familien­leben ohne Fernseher zu führen, dann fangen die Fragen an. "Wir haben einen Fernseher, wie kann ich dann das Kind davon wegbringen?" Die radikalste aber sicher auch beste Möglichkeit ist, den Fernseher zu entfernen. Im besten Fall ist es Ihnen möglich, ihren Kindern Ihren Entschluß und die Gründe hierfür zu erklären: "Wir haben gelesen, daß Fernsehen für die Gesundheit und das Großwerden schädlich ist. Wir möchten nicht, daß Du im Kopf krank wirst." Sie werden Ihre Worte finden.

Oder, wenn einem das nicht möglich ist, ist ein erster Schritt, den Fernseher "kaputt gehen zu lassen", indem man eine Sicherung entfernt o.ä. Eine befreundete Familie hatte, solange die Kinder klein waren, bewußt keinen Fernseher. Später wollten die Eltern jedoch auch selbst gerne ab und zu fernsehen. Ihre Lösung bestand darin, den Fernseher ins elterliche Schlafzimmer zu stellen mit der Maßgabe, daß die Kinder nicht alleine dort fernsehen dürfen. Wenn der inzwischen 14jährige Sohn jammert, daß er diesen oder jenen Film gerne sehen wolle, erklärt ihm die Mutter, daß sie ihn aber nicht sehen will, lädt ihn dann jedoch ganz herzlich ein, sich einen Spielfilm, den sie sich ausgesucht hat, mit ihr zusammen anzuschauen. Häufig kommt es dann vor, daß er sich mit einem Seufzer und der Bemerkung "Wieder so eine Mama-Schnulze" zu ihr hin kuschelt. Ganz genüßlich und zufrieden schaut er sich dann den ganzen Film an - und genießt die Nähe zu seiner Mutter.

Der nächste Schritt beinhaltet aber eine aktive Veränderung im Freizeitverhalten. Für kleine Kinder gibt es nichts Schöneres, als von den Eltern ein Buch vorgelesen zu bekommen. Das bietet reichhaltige Möglichkeiten, mit dem Kind ins Gespräch zu kommen, man erfährt voneinander mehr, man kann mit dem Kind zusammen die Welt entdecken. Auch ältere Kinder und Jugendliche lassen sich von Büchern, die die Eltern z.B. aus der Bücherei mitbringen, oft begeistern und beschäftigen sich gerne damit.

Wenn der Fernseher Babysitter war, braucht es ein aktives Durchdenken, wer denn statt­dessen sich mit dem Kind beschäftigen kann, wenn die Mutter keine Zeit hat: Vielleicht gibt es eine Oma oder eine Nachbarin oder ein größeres Kind in der Nachbarschaft, die noch so gerne so ein kleines Wesen mit betreuen würden. Oder es gelingt einem, die Tätigkeiten auf das Niveau des Kindes abzustimmen, so daß das Kind mit bügeln (mit einem eigenen kleinen Bügeleisen) oder mit putzen kann (mit einem eigenen kleinen Eimer und etwas Wischwasser darin). Das braucht sicherlich mehr Zeit und Geduld - aber damit ist der Grundstein gelegt für das Helfen, für das Gefühl, wichtig und von Bedeutung zu sein. Ein Grundstein für eine Persönlichkeitsentwicklung im o.g. Sinne.

Für die Väter ist es eine gute Gelegenheit, ihre Bedeutung gerade für den heran­wachsenden Jungen, aber auch für das Mädchen ins Auge zu fassen. Das Kind braucht seinen Vater als Vorbild und Identifikationsfigur. Mit ihm zusammen kann es die Welt erkunden, seine Fähigkeiten entwickeln und Lösungsmöglichkeiten für Konflikte lernen. Heutzutage sind Kinder in der Phantasie oft mit irrealen und zum Teil menschen­verachtenden Dingen beschäftigt: z. B. mit Phantasyspielen, oder sie wetteifern mit anderen um noch mehr Treffer bei Ego-Shooter-Spielen. Wenn der Vater stattdessen mit seinem Sohn Dinge im Haushalt repariert oder Schiffe bastelt oder ein Hobby mit ihm teilt, kann er dem Sohn ganz konkret zeigen, was im Leben wichtig ist und die Phantasie des Kindes mit mitmensch­lichen Werten und Inhalten füllen. Wenn beide eine Begeisterung für eine Sportart entwickeln, haben sie ein gemeinsames Thema und die freie Zeit an Nachmittagen oder am Wochenende ist mit einer Aktivität gefüllt, die körperlich das Kind fordert und bei der - je nach Sportart - auch der Teamgeist gefördert wird.

Eine besondere Herausforderung und Schwierigkeit stellt die Tatsache dar, daß der Druck der Gleichaltrigen auf die Kinder sehr groß ist. Wenn einer die Spiele oder die Fernsehsendungen, die gerade "in" sind, nicht kennt, besteht beim Kind leicht die Angst, nicht dazu zu gehören. Hier braucht das Kind einfühlsame Eltern, die das Problem ernst nehmen und es in seiner ganzen Person stärken. "Wer dabei nicht mitmacht, ist eben nicht der Langeweiler oder Hinterwäldler. Im Gegenteil, es ist mutig und stark, wenn Du zu dem stehst, was Du selber gut findest und was Du nicht gut findest. Du kannst dem Tobias ja sagen: ‚Ich schau mir doch nicht so was an, wo einer dem anderen immer eine über die Rübe haut. Da wird man im Kopf krank. Komm wir spielen was zusammen.' " So könnte man mit seinem Kind sprechen. Es ist wichtig, daß die Eltern mit dem Kind zusammen Möglichkeiten entwickeln, wie es seine Freunde für die andere Aktivität gewinnen kann.  Die Mutter kann z. B. anbieten, wenn die Kinder nach dem Spiel draußen sich bei jemandem zum Computerspiel treffen wollen, daß es bei ihr jetzt Kuchen und etwas zu trinken gibt und daß man zusammen ein spannendes Buch lesen wird. Wer Lust hat, könne gerne mitkommen. Oder man kann das Nachbarskind, bei dem der eigene Sohn so gerne Computerspiele spielt, die er zu Haus nicht spielen darf, am Sonntag mit auf den Familienausflug zum Badesee oder zum Klettern oder zur Burgbesichtigung einladen. So erlebt nicht nur das eigne Kind sondern auch noch ein anderes einen netten Tag in Beziehung mit Erwachsenen. Und so hat das Kind seine Mutter bzw. Eltern als Unterstützung und alle zusammen haben eine konkrete Alternative, die ihnen ein gemeinschaftliches Erlebnis verschafft.

Kinder, die zu ause erleben, daß das Leben reichhaltig ist, bei denen das Lesen gepflegt wird, die Interessen und Hobbys haben, die Aufgaben übernehmen, bei denen sie ihre Bedeu­tung und Wichtigkeit empfinden, haben auch schlichtweg weniger Zeit für Fern­sehen oder Computerspiele, sie haben etwas "Besseres" vor. Entwickelt das Kind durch die konkrete Anleitung im Alltag und das tätige Vorbild der Eltern prosoziales Ver­halten, z.B. indem die Eltern die Mithilfe im Haushalt als wichtigen Beitrag für das Familien­leben würdigen oder indem sie gemeinsam mit dem Kind die gebrechliche Großmutter oder einen kranken Nachbarn unterstützen, so kann es auch in der Schule nicht wegschauen oder gar mitmachen, wenn ein Kind von anderen gehänselt oder geschlagen wird.

Es lohnt sich auch sehr, mit den Kindern über das Hauptmotiv der TV-Produzenten und Computerspiele-Hersteller ins Gespräch zu kommen: möglichst viel Geld zu verdienen. Gerade Jugendliche haben eine gesunde Abwehr dagegen, sich manipulieren zu lassen und Opfer profanen Profitdenkens zu werden. Z.B. erklärte ein Zwölfjähriger seiner Mutter, nachdem sie zusammen erstmals eine bestimmte Sachsendung angesehen hatten und dort vor dem zweiminütigen Schluß ein 10minütiger Werbeblock kam, daß es sich das nächste Mal nicht lohnen würde, sich diese nervende Werbung für zwei Minuten Schluß anzutun. Die Mutter dieses Jungen hatte bereits im Grundschulalter, als die Diddle-Maus-Tauschkarten gerade aktuell waren, mit ihm darüber gesprochen, daß damit den Kindern das Geld aus der Tasche gezogen werden soll. Als einige Monate später das Diddle-Maus-Fieber vom Pokèmon-Fieber abgelöst wurde, kam der Junge von sich aus eines Tages mit der Bemerkung nach Hause, daß es schon wieder so ein neues Kartenspiel gebe - da mache er jetzt aber nicht mehr mit.

Als Eltern müssen wir zweierlei ganz sicher wissen:

Zum einen, daß es der Natur des Menschen entspricht, sich zusammen zu tun und konstruktive Dinge zu tun. Das ist etwas, was alle Kinder anspricht, auch wenn sie zuerst maulen oder das langweilig finden. Wenn wir als Eltern mit einer guten Stimmung und Sicherheit derartige Vorgaben geben, schließen sich die Kinder gerne an.

Zum zweiten müssen wir einen festen und sicheren Standpunkt zu den Wirkungen von Fernsehen, Video und Computerspielen haben. Mit diesem Hintergrund werden wir sicherer, daß wir unsere Kinder diesen Gefährdungen nicht aussetzen wollen. Oft wird es vielleicht nicht sofort zur Einsicht führen, gerade bei Jugendlichen, aber wenn wir im Gespräch und in Beziehung mit den Kindern bleiben, werden sie sich unseren Argumenten nicht verschließen können und selbst darüber nachdenken.

Wie man in der eigenen Familie mit dem Problem umgeht, muß jedes Elternpaar für sich überlegen. Aber daß es möglich ist, mit den Kindern über dieses Thema zu sprechen und daß sie eine eigene Haltung gegen Gewalt und gegen die Mediengewalt entwickeln, kann allen Eltern Mut machen, ihrerseits mit ihren Kindern ins Gespräch zu kommen und Stellung zu beziehen.   ·


Quelle: Für die Familie e.V., Infobrief 5, Oktober 2004