Mediengewalt: Handeln statt resignieren
Ergebnisse der Medienwirkungsforschung – Politische und pädagogische Konsequenzen

Am 25. Juli 2002 kamen in der Ludwig-Maximilian-Universität München renommierte Wissenschaftler zusammen, um unter dem Eindruck der tragischen Ereignisse von Erfurt die längst bekannten und gesicherten, doch oft ignorierten Erkenntnisse der Medienwirkungsforschung vorzustellen. Vor über 300 Zuhörern, vor allem Lehrern, Pädagogen und Psychologen, referierten sie ihre Erkenntnisse zur Auswirkung von Gewalt in den Medien. Unterstützt wurde diese wegweisende Veranstaltung von der Staatlichen Schulberatungsstelle München, den bayerischen Lehrerverbänden und dem BDP, Sektion Schulpsychologie.

Auf dem Kongreß wurden zwei Resolutionen verabschiedet, die in Auszügen im folgenden abgedruckt werden.
In der ersten Resolution werden nach der Darstellung der wissenschaftlichen Fakten zur Wirkung von Mediengewalt politische und pädagogische Konsequenzen gefordert:

- „Eine klare und eindeutige Information der Öffentlichkeit über den Stand der Wirkungsforschung – und das in einer Sprache, die alle Menschen verstehen.
- Ein Verbot der Produktion (national) und des Vertriebs von gewaltverherrlichenden Filmen und Video-/PC-Spielen.
- Ein Gesetz zur Haftung für Medienprodukte.
- Änderung des Rundfunkstaatsvertrags: Generelles Verbot der Ausstrahlung indizierter Filme und eine schärfere Kontrolle des Jugendschutzes in den Medien durch Übertragung der Kompetenzen an eine öffentliche Institution des Bundes.
- Eine effektive Kontrolle der Gewaltangebote im Internet.
- Kritische Medienerziehung für Eltern, Lehrer und Schüler, da gesetzliche Maßnahmen nicht ausreichen.
- Finanzielle und zeitliche Ausstattung der Schulen für eine intensive kritische Medienerziehung.
- Boykott der Werbung in gewaltverherrlichenden Sendungen durch die Industrie. Dies trifft das Geschäft mit der Gewalt unmittelbar.
- Veröffentlichung der Industrieunternehmen, die häufig in gewaltverherrlichenden Sendungen werben.
- Verschärfung der Kriterien für die Bundesprüfstelle.
Es geht um eine konsequente Umsetzung der notwendigen Maßnahmen aufgrund wissenschaftlicher Fakten. Schon jetzt zeigt sich, daß Erfurt bald vergessen sein wird und die Medienindustrie ihr Geschäft wie bisher betreibt. Die Verwirrung der Öffentlichkeit durch widersprüchliche Behauptungen hat System. Der Zensurvorwurf gegen eine Stärkung des Jugendschutzes ist absurd: Die Opfer der Gewalt werden damit zu Opfern einer beliebigen Interpretation des Grundrechts der Freiheit der Meinung und der Kunst. Dieses Grundrecht ist dann nicht mehr in der Lage, die Menschenwürde zu schützen. In Wirklichkeit geht es um Gewinn- und Konsumfreiheit – und die soll nicht angetastet werden, auch wenn die Gewaltverherrlichung in den Medien die Menschenwürde mit Füßen tritt. ...“

Unterzeichnet wurde die Resolution von: Dr. W. H. Hopf, München; Dr. M. Kandler, Univ. München; Prof. em. Dr. E. F. Kleiter, Univ. Flensburg; Prof. Dr. H. Lukesch, Univ. Regensburg; Dr. R. Steckel, Univ. Bochum; Prof. Dr. R. Tippelt, Univ. München; Dr. C. Trudewind, Univ. Bochum; Dr. R. H. Weiß, Stuttgart.

Pädagogische Antworten für das Problem werden in der zweiten Resolution angesprochen:
„1. Wir Erzieher müssen einen Weg finden, mit den Kindern und Jugendlichen so zu sprechen, daß sie sich gewinnen lassen, Gewalt in jeglicher Form von innen heraus freiwillig abzulehnen, sich bewußt gegen sie zu entscheiden.
2. Das ist nur möglich, wenn Eltern und Lehrer zuvor das Vertrauen der Kinder und Jugendlichen gewonnen haben:

- durch überzeugendes und authentisches Vorbild,
- durch unbedingte Gewaltlosigkeit im Umgang miteinander,
- durch liebevolle Zuwendung und innere Zuversicht,
- durch Bejahung ihrer konstruktiven Seiten,
- durch Ermutigung und Hilfe bei der Überwindung ihrer Schwächen.
3. Nur auf dieser Grundlage können sie unsere Informationen und Erklärungen der Zusammenhänge entgegennehmen, darüber nachdenken und mit uns in einen echten, ehrlichen Dialog treten. Dieser Dialog zwischen uns und unseren Kindern muß folgendermaßen gestaltet sein:
- unterschiedliche Meinungen, Widersprüche, Emotionen müssen möglich sein,
- wir als Erzieher müssen bei aller Einfühlung in die Argumente und Wünsche der Kinder bei unserer gut begründeten Sicht bleiben: Gewalt in jeder Form ist abzulehnen,
- wir dürfen ausschließlich argumentative Durchsetzungsstrategien anwenden (autoritativer Erziehungsstil),
- die Kinder und Jugendlichen müssen immer unser Wohlwollen spüren, sicher sein, daß wir die Beziehung nicht abbrechen und merken, daß es uns um sie geht.
4. Nur auf diese Weise kann es uns gelingen, daß sich unsere Kinder und Jugendlichen uns anschließen, daß sie sich bewußt gegen jede Form von Gewalt, gegen die Verrohung, die Perversionen, den Nihilismus – die seelische Verschmutzung durch die Mediengewalt - entscheiden.“

Dr. Rudol Hänsel, Dipl.-Psych., Leiter der Staatliche Schulberatungsstelle München

Der volle Wortlaut der Resolutionen kann über „Für die Familie“ bezogen werden.

Quelle: Für die Familie e.V., Infobrief 4, Dezember 2002